„Da sein“ und „Raum halten“

Für Menschen „da zu sein“, wenn sie dich am meisten brauchen. Das ist der großartigste Dienst, den wir für andere tun können. In unserer hoch technisierten Welt fördern wir die kognitiven Fähigkeiten in allen Bereichen und messen daran den menschlichen Fortschritt. Wenn wir für Menschen „da sein“ wollen, brauchen wir jedoch andere Qualitäten, die uns die Schule nicht lehrt und die unser Gesellschaftssystem nicht unterstützt. Es ist aber so wertvoll, Menschen mit unserem ganzen Herzen und mit unserer ganzen Seele zu begegnen. Dieses „Da sein“ erfahren zu dürfen und zu spüren, wie für einem „Raum gehalten“ wird, ist ein unvergessliches Erlebnis und ermöglicht eine sehr tiefe Begegnung von Mensch zu Mensch. Wir alle können „da sein“ und „Raum halten“ für andere, jeder von uns.

Was bedeutet es, für jemanden „da zu sein“ und „Raum zu halten“

Eine wunderbare Geschichte hat mir dieses „Raum halten“ näher gebracht. In meiner Tätigkeit als Trauer- und Sterbebegleiterin gibt dieser Begriff meinem Tun endlich Worte.

Sibylle erzählte mir ihre Geschichte, wie sie dieses „Raum halten“ erfuhr:

 „Als mein Vater im Sterben lag, habe ich mich ziemlich hilflos gefühlt. Ich hatte keine Erfahrung  mit dem Tod und wollte aber alles richtig machen. Die gemeinsame Zeit, die uns noch verblieb, wollte ich bestmöglich nutzen. In meinem Geist tauchten viele Fragen auf. Machte ich alles richtig oder was sollte anders sein? Dann jedoch erfuhr ich eine wunderbare Unterstützung durch Barbara.

Barbara ist in der Trauer- und Sterbebegleitung tätig und war einfach ´da´, als ich sie brauchte. Sie bestärkte mich, meiner Intuition, meiner inneren Weisheit zu vertrauen, die aus den vielen Jahren der Beziehung zu meinem Vater entstand. Die medizinische Versorgung wurde nach wie vor von den Spezialisten ausgeführt, aber seit der Unterstützung durch Barbara versuchte ich nie mehr meinem Vater zu drängen, die eine oder andere Entscheidung zu treffen. Mit Hilfe von Barbara erkannte ich, dass ich meine egoistischen Wünsche beiseite lassen konnte und dass Papa in gewissen Bereichen seine Entscheidungen treffen konnte. Wie immer diese auch ausfielen, ich akzeptierte sie. Das wir nicht immer einfach für mich, aber ich spürte, dass ich dabei nur an mich gedachte hatte, weil ich für mich gewährleisten wollte, dass so Papa am längsten bei mir bleiben könnte. In diesen Momenten hatte ich vergessen, wie es sich für Papa anfühlen musste bzw. wie er es erlebte.

Es gab jedoch vieles, was ich für ihn tun konnte. Ich versuchte ihm das Gefühl zu vermitteln, dass ganz egal was passieren würde, ich ´da´ sein würde. Es war dieses ´Da sein´ mit meinem ganzen Herzen, dass mich spüren ließ, wann ich ihn in den einzelnen Tätigkeiten unterstützen konnte und wann es die Zeit war, zur Seite zu treten, so dass er selbst Dinge ausführen konnte ohne dass er sich hilflos fühlte. Wenn wir mit unserem Herzen hin spüren, dann können wir diese schmale Grenze erkennen, die es zwischen Autonomie und Unterstützung gibt.

Barbara ermutige mich dazu, meinem Inneren zu vertrauen. Sie ermahnte mich jedoch nie und gab mir nie das Gefühl, dass ich etwas falsch gemacht hatte, auch wenn ich erst im Laufe der Zeit hinein wuchs.

Es gab Zeiten, da konnte ich meine Tränen nicht zurück halten. Er waren Momente, in denen ich mich so hilflos fühlte und am Boden zerstört war. Da ´hielt Barbara mir diesen Raum´, in dem ich mich unterstützt und begleitet wusste ohne diese gut gemeinten Ratschläge. Ich fühlte mich sicher, meinen Gefühlen freien Lauf lassen zu können und wusste, dass Barbara mich halten würde ohne bewertet zu werden. Es war vertrauensvoller Raum da, wo all dieses Platz hatte und wo ich meinem Selbst begegnen konnte. In dem ich mir des Mitgefühls und des Respekts von Barbara stets sicher war, konnte als das fließen und konnte ich Sibylle sein, die ich vom Herzen bin, authentisch mit all ihren Fehlern und mit all diesem Wachsen. Barbara hielt für uns beide diesen Raum, für Papa, der nun nicht mehr auf dieser Erde weilt, und für mich.“

Sibylle hat mir diese wunderbare Geschichte erzählt und mir erneut vor Augen geführt, wie wichtig es ist, füreinander „da zu sein“ und diesen „Raum zu halten“ In meiner Tätigkeit als Trauer- und Sterbebegleiterin spüre ich immer wieder, welche wunderbare Begegnungen und bedeutsame Momente dieses „Raum halten“ ermöglicht und welche neuen Wege dadurch plötzlich begangen werden.

Es gibt Momente in unserem Leben, in denen wir besonders bedürftig sind. Sei es, weil wir eine furchtbare Diagnose bekommen haben oder weil wir einen wunderbaren Menschen verloren haben oder auch andere schwierige Zeiten durchstehen müssen. Jeder von uns ist zu gewissen Zeiten besonders verletzlich und schwach. Besonders da ist es wunderbar, so einen Mensch wie Barbara an seiner Seite zu wissen. Die gute Nachricht ist, wir alle können es. Wir können füreinander diesen „Raum halten“. Es funktioniert in allen Bereichen unseres Lebens, sei es, wenn sie ihrem Nachbarn einfach nur zuhören, weil sein Tag so schrecklich war. Es ist völlig unabhängig von unserem Beruf. Aus Erzählungen weiß ich, dass auch Barbara bedeutsame Menschen an ihrer Seite weiß, die ihr dieses „Raum halten“ gewährleisten und in ihren schweren Stunden für sie „da“ sind. Sie begleiten sie bedingungslos und mit offenen Herzen auf ihrem Weg.

Haben auch Sie Mut, dieses „Da sein“ und „Raum halten“ immer wieder in ihrem Umfeld zu probieren. Es ist wie ein Muskel, der wächst, je mehr wir ihn benützen.

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